epd Medien vom 9. November 2012. Rezension zu "Der Schutzmann in Kabul". Von Sigrun Matthiesen.

 

 

Soldaten in ein Krisengebiet zu schicken, das ist in Deutschland immer noch eine heikle Angelegenheit. Polizeibeamte dagegen, noch dazu solche, die helfen, einheimischen Kräfte auszubilden - das gilt gemeinhin als über alle Zweifel erhaben. Politische, moralisch und menschlich. Aber ist es das wirklich? Dieser Frage widmet sich das Radiofeature "Der Schutzmann in Kabul", und es beantwortet sie glücklicherweise bis zum Ende nicht, sondern lässt sie im Raum stehen.

 

Dieser Raum wird für gewöhnlich mit Schlagworten und Floskeln wie "Sicherheitsproblematik", "Menschenrechte" und "politische Verantwortung" höchst ungenau skizziert. Thilo Guschas dagegen beschreibt ihn, allein mit akustischen Mitteln, detailgenau bis in den letzten Winkel. Als Ausgangspunkt dient ihm die Einschätzung von Außenminister Westerwelle, die Lage im Norden Afghanistans sei "als bewaffneter Konflikt im Sinne des humanitären Völkerrechts" anzusehen, "ob uns das politisch gefällt oder nicht". Darauf also muss vorbereitet sein, wer nach Afghanistan geht.

 

Deshalb wird in der Polizeiakademie in Lübeck der Taliban-Überfall geprobt, mit allen technischen und personellen Kapazitäten, die der deutsche Polizeiapparat so zu bieten hat. Thilo Guschas ist als Reporter dabei, er kommentiert nicht, er stellt nicht einmal besonders hintergründige Fragen. Sondern er lässt Ausbilder und Teilnehmer in ihrer ordentlichen deutschen Beamtensprache davon sprechen, dass es darauf ankomme, "zu sehen, von wo wird gerade auf sie eingewirkt" und auf ein " breitgefächertes Wissen und Handling was die Fu?hrungs- und Einsatzmittel angeht". Man ahnt, dass Lübeck sehr weit entfernt liegt vom Hindukusch.

 

Einen von denen, die hier trainieren, Joachim Haak, lernt man im weiteren Verlauf des Features näher kennen. Ein besonnener Mann, der anderen helfen will, einer, der keine Angst zeigt, ein Polizist, der überzeugt ist, dass die Afghanen profitieren könnten von dem, was die deutsche Polizei auszeichnet: Ordnung, Korrektheit, Verlässlichkeit und all die anderen viel strapazierten Sekundärtugenden. Ihm, dem Neuling, dem idealtypischen, freundlichen "Schutzmann in Kabul" stellt das Feature Dawout gegenüber, den afghanischen Kollegen, der lieber kündigt, als sich von den Deutschen ausbilden zu lassen, die für ihn auch nur Besatzer sind.

 

Die Taliban bezahlen jungen Männern immer noch ein doppelt so hohes Gehalt wie die Polizei. Die Analphabeten-Quote im einfachen Dienst beträgt 85 Prozent. Die Führungskräfte der europäischen Polizeimission EUPOL dozieren über Disziplinarverfahren gegen Polizeibeamte, die gegen Regeln verstoßen. Der Taxifahrer in Kabul unterscheidet korrupte Polizisten und gute.

 

Menschenrechtsorganisationen berichten von Misshandlungen durch die Polizei. Eine afghanische Ärztin meint, das Bewusstsein für Menschenrechte habe sich in den vergangen zehn Jahren verbessert. Ein britischer Dokumentarfilmer ist überzeugt, dass sich gewiefte Kriminelle in Kabul einfach eine Uniform kaufen können. "Diese Defizite sind unser Auftrag", sagt Norbert Koster, Leiter der Abteilung Rechtsstaatlichkeit von EUPOL Afghanistan.

 

All diese Informationen und noch etliche mehr sind als kurze, atemlose, widersprüchliche O-Ton-Splitter gegeneinander geschnitten. Ein Spiegelkabinett, in dem die Frage "Was tun deutsche Polizisten in Afghanistan?" immer neue Facetten bekommt, die sich nicht zu einem schlüssigen Bild fügen wollen.

 

Es treten weit mehr Personen auf, als man sich in einer Stunde merken könnte. Es sind ein paar Informationen zu viel, um sie alle zu verarbeiten. Eine Kakophonie der Wahrheiten, die einem so egal sein könnten wie die durchs Fernsehbild laufenden Börsenkurse der Nachrichtensender, ließe nicht eine Frauenstimme immer wieder aufhorchen. Im Tonfall eines Märchens aus ferner Zeit erzählt sie von einer afghanischen Schriftstellerin, die sich frei fühlt, von einem anderen Afghanistan zu träumen. Und sie erzählt von Salmai, dem Jungen mit den Verbrennungen im Gesicht. Als der Vater ihm seinen Freund, den deutschen Polizisten vorstellen will, weil der ihm vielleicht helfen könne, erwartet Salmai einen bewaffneten, dicken weißen Mann, der niemals lacht. Stattdessen gibt ihm ein unbewaffneter Dietrich die Hand und begrüßt ihn in Pashtou. Der Junge, so die Frauenstimme "dachte nur, dass Dietrich sich sehr unterschied von den anderen und dass das unglaublich war".

 

Die Hoffnung auf Veränderung beschützen - vielleicht ist das nicht der schlechteste Grund, um in Afghanistan zu sein.